04 – Ehrhardt


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Create Date 3. July 2016
Last Updated 27. July 2016
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Derzeit wird kontrovers über das Ob und Wie von natürlicher Dynamik, insbesondere im Wald, diskutiert. Dies äußert sich in politischen und gesellschaftlichen Diskussionen um Flächenstilllegungen. In den Debatten wird vielfach eine sprachliche Verbindung von natürlicher Walddynamik und Wildnis hergestellt. Damit bekommt ein Begriff Prominenz, der nicht nur schwer zu definieren ist, sondern in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten eine sehr heterogene Bewertung erfährt und daher ggf. die Dynamik bestehender Interessengegensätze zusätzlich antreibt. Es stellt sich somit die Frage nach der Bewertung natürlicher Walddynamik durch verschiedene soziale Gruppen und welche Rolle der Wildnisbegriff dabei spielt. Ausgehend von einem Überblick über die bisherigen Forschungsarbeiten zeigt sich, dass die sozialwissenschaftliche Betrachtung der Wahrnehmung und Bewertung von natürlicher Wald - dynamik und Wildnis insbesondere in Bezug auf Naturwaldreservate (Bannwälder in Baden-Württemberg) bisher unzureichend vorgenommen wurde.
Deshalb wurde untersucht, wie Bannwälder bewertet werden. Dazu wurde eine Befragung in drei Bannwäldern des Schwarzwalds zu Wahrnehmung und Verständnis von natürlicher Walddynamik und Wildnis sowie zur Einstellung zur Bannwaldidee mit 291 Waldbesuchern durchgeführt (s. Tab. 1, Tab. 2 und Tab. 3). Ergänzend erfolgte eine deutschlandweite telefonische Befragung von 1.000 Personen dazu, wie die Idee sich selbst überlassener Wälder bewertet und wie hoch der bereits bestehende Anteil solcher Flächen geschätzt wird (s. Tab. 4).
Der Idee, einen Teil der Waldfläche sich selbst zu überlassen, stimmte bei der telefonischen Befragung die Mehrzahl der Befragten zu. Die Ergebnisse zeigen zudem eine Korrelation der Zustimmung mit Alter und Wohnortgröße sowie der Bereitschaft, sich persönlich für den Wald zu engagieren. Gleichzeitig wurde die Idee umso häufiger abgelehnt, je höher der bereits bestehen de Anteil solcher Flächen geschätzt wurde (s. Tab. 5). Die Befragung in den Bannwäldern ergab ebenfalls ein hohes Maß an Zustimmung (s. Abb. 1). Unterschiedlich häufig wurden die drei Bannwälder mit den vorgegebenen Eigenschaften lebendig, wild, außergewöhnlich, märchenhaft, vom Menschen verändert, fremdartig und belebend assoziiert (s. Tab. 6). Die Bannwaldbesucher bezeichneten zu 12% alles, zu 70% spezifische Merkmale und zu 18% nichts als Wildnis (s. Tab. 7). Die spezifischen Merkmale von Wildnis umfassten charakteristische Elemente der jeweiligen Bannwälder (s. Tab. 8). Einige Waldbesucher lehnten die Verwendung des Wildnisbegriffs begründet ab oder ordneten Wildnis gleichzeitig anderen Landschaftsbildern oder Naturräumen zu. Weiterhin ließen sich einige Faktoren zum Wissen um den Bannwaldstatus und Motivation für den Waldbesuch identifizieren. Anhand ähnlicher Antworten zur Wahrnehmung und Bewertung von Bannwäldern konnten sieben charakteristische Personencluster gebildet werden (s. Tab. 9).
Die Bewertung der Bannwälder war abhängig von deren Erscheinungsbild. Verschiedene Waldbilder hatten eine unterschiedliche Wirkung. Die Ergebnisse decken sich mit anderen Untersuchungen, wonach insbesondere abgestorbene Bäume bzw. Totholz polarisieren. Vergleiche mit älteren Studien bestätigen dies, zeigen aber auch eine Entwicklung der Bewertung von Bannwäldern zum Positiven (s. Tab. 10).
Die in der Literatur diskutierte Vieldeutigkeit des Wildnisbegriffs bestätigt sich, wie auch das Dilemma der Verbindung von Naturdynamik und Wildnis einerseits und der definitorischen Unschärfe andererseits. Es ließen sich zwei vom Erscheinungsbild der Wälder abhängige Assoziationsketten mit der Deutung einer negativen und einer positiven Waldentwicklung erkennen.
Sowohl bei der telefonischen Befragung als auch bei den Personenclustern der Bannwaldbefragung zeigte sich, dass Expertenstatus, Entfernung des Wohnorts zum Wald bzw. Wohnortgröße, Alter und umweltethische Wertvorstellungen die Antworten beeinflussten. Diese wurden auch in anderen Studien als Einflussfaktoren identifiziert.
Natürliche Walddynamik ist nicht mit Wildnis gleichzusetzen. Die Sichtweise auf Waldwildnis ist nicht baumzentriert, es erfolgt eine deutliche Assoziation mit anderen Merkmalen. Die Wahrnehmung ist durch verschiedene kulturell vorgegebene Vorstellungen geprägt. Wildnis ist auch im Wirtschaftswald anhand spezifischer Elemente erkennbar oder wird selbst im Bannwald begründet vermisst.
Die Ergebnisse spiegeln somit auch die Begriffsverwirrung in fachlichen Diskussionen wider, in denen die Begriffe ‚wilderness‘ und Wildnis vielfach vermischt werden. Das amerikanische Konzept der primären, alten, weitläufigen ‚wilderness‘ wird unkritisch auf deutsche kleinere, sekundäre Wildnisflächen (aufgegebene Kulturlandschaft) übertragen. In der vorliegenden Studie wird die durch diese Vermischung bedingte Überfrachtung von Prozessschutzflächen mit unerfüllbaren Erwartungen diskutiert, die allein wegen der Frequentierung durch den Massentourismus kaum erfüllt werden können. Die Autoren stellen zur Diskussion, dass deshalb ein dezentrales Netz an kleinen Prozessschutzflächen sogar besser für das Erleben von Einsamkeit und Weite geeignet sein kann, wenn es die Möglichkeit des Erlebens der Gegenwelt zum bewirtschafteten Umfeld eröffnet.

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