J. D. Sauerländer's Verlag: (03) Sterba
   

Einleitung

Es gilt als eine allgemeine Waldwachstumsgesetzmäßigkeit, dass auf besseren Standorten, das sind solche besserer Bonität, die Zuwächse früher kulminieren als auf schlechteren Standorten. WENK und GEROLD (1991) stellten ein Wachstumsmodell vor, in dem auch zugelassen ist, dass bedingt durch die Ausscheidung der drei Bonitätssysteme (L, M und S) mit jeweils unterschiedlichem Höhenwachstumsgang, die Höhenzuwächse guter Bonitäten des L-Systems gleich oder in Sonderfällen auch später kulminieren als jene geringerer Bonitäten des S-Systems. An dieser Vorstellung entzündete sich eine heftige Diskussion darüber ob dies eine Folge des unterstellten mathematischen Modells sei oder tatsächlich aus den untersuchten Daten resultieren könne.
Nun sind Feststellungen über die Abhängigkeit verschiedener waldwachstumskundlicher Kenngrößen von der Bonität nur möglich und sinnvoll, wenn sie über Befundeinheiten gemacht werden, die mehrere Bestände mit einer erheblichen Variation der Standortsgüte umfassen. Eine solche Zusammenfassung mehrerer Bestände oder Versuchsreihen sind die Datengrundlagen für Bestandesmodelle, Ertragstafeln, sowie die Modelle und die Ertragstafeln selbst. Die Bonität ist zweifelsohne ein summarischer Ausdruck des Zusammenwirkens vieler Standortsfaktoren. Ob die Entwicklung der Wachstumsgrößen aber immer in der gleichen Art und Weise Ergebnis des Zusammenwirkens der Standortsfaktoren ist, wurde vorerst nur angenommen. Diese Annahme, in Form der Unterstellung „harmonischer“ Kurvenverläufe wurde von MONSERUD (1984a) heftig kritisiert. Spätestens seit GUTTENBERG (1915) ist bekannt, dass die Form der Höhenwachstumskurven bei gegebener Bonität noch deutlich variieren kann. Die in seinen Ertragstafeln für das Hochgebirge und für Panneveggio (GUTTENBERG, 1915) dargestellten Höhenverläufe weichen deutlich von denen für „Weitra“ im nördlichen Waldviertel (GUTTENBERG, 1896) ab. Interpoliert man die Höhenverläufe dieser drei Wuchsgebiet für die III. Bonität mit einer Höhenbonität von 23 m (Abb. 1), dann wird deutlich, dass bei gleicher Höhenbonität das Alter zum Zeitpunkt der Kulmination des durchschnittliche Höhenzuwachses erheblich variiert.
Da auch innerhalb eines Wuchsgebietes die Form der Wachstumskurven bei gleicher Bonität variieren kann, stellte STAGE (1963) erstmals ein mathematisches Modell der polymorphen Höhenkurven vor, in dem die Bonitierung nicht mehr nur mit Höhe und Alter, sondern zusätzlich mit dem Durchmesserzuwachs (als Ersatz für den kaum zu messenden Höhenzuwachs) erfolgen sollte. Dieses Konzept der polymorphen Höhenkurven griffen RAWAT und FRANZ (1973) auf, und modifizierten damit die Wachstumsverläufe der vorläufigen Fichtenertragstafeln für Bayern (ASSMANN und FRANZ, 1965), indem sie sie mittels der Richardsfunktion (RICHARDS, 1959)

W = A · (1 – e–k· t)r

ausglichen, und die Parameter A, k und r in Abhängigkeit von derOberhöhenbonität darstellten. Da außer der Oberhöhenbonität keine weiteren Größen zur Variation der Parameter A, k und r untersucht wurden, kann sich auch keine Variation des Zeitpunktes der Zuwachskulmination bei gegebener Bonität ergeben. Eine Analyse der Richardsfunktion zeigt allerdings, dass bei konstantem r und konstantem k die Zuwachskulmination unabhängig von der Bonität im gleichen Alter erfolgt. Wenn k mit zunehmender Bonität zunimmt, dann erfolgt die Zuwachskulmination bei den besseren Bonitäten früher, wenn k mit zunehmender Bonität abnimmt, dann kulminieren die Zuwächse bei den besseren Bonitäten später als bei den schlechten Bonitäten. Abbildung 2 zeigt die Höhenzuwachsverläufe für diese drei Fälle, für Oberhöhenbonitäten von 10, 20 und 30 m.
MONSERUD (1984a) folgert daraus, dass mittels Stammanalysen „das polymorphe Muster des Höhenwachstums adäquat modelliert werden kann, ohne ein bestimmtes Muster vorab zu unterstellen“. Ein weiterer Hinweis auf unterschiedliche Höhenwachstumskurven bei gleicher Bonität ist den Ertragstafeln für Fichte der Deutschen Mittelgebirge (WENK et al., 1982) zu verdanken. In Abhängigkeit von definierten Standortseinheiten, die aber nicht allein Wuchsgebieten entsprechen, gibt es dort für die gleiche Höhenbonität jeweils ein „langsames“, ein „mittleres“ und ein „schnelles“ Höhenwachstum. Das steht ganz im Einklang mit der oben beschriebenen Abhängigkeit der Form der Wachstumskurve von k, der Wachstumsgeschwindigkeit, obwohl sich diese Ertragstafeln eines ganz anderen mathematischen Modells bedienen. Auch MONSERUD (1984b) findet eine deutliche Variation der Höhenwachstumsgänge bei gleicher Bonität aber in unterschiedlichen Klimax- Waldgesellschaften.
Letztlich führen auch die potentiellen Höhenwachstumsgänge des Simulators SILVA (KAHN und PRETZSCH, 1997) zu polymorphen Höhenwachstumsgängen, weil Wendepunkt und Asymptote der verwendeten Richardsfunktion in Abhängigkeit von jeweils unterschiedlich kombinierten Standortsfaktoren dargestellt sind.

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